Das Warten ist vorbei – jetzt kann die grosse Geburtstagsparty starten!
Am 21. November 1921 wurde unsere Be 4/6 12320 an die SBB abgeliefert. 99 Jahre und 364 Tage später feiert sie ihren 100sten Geburtstag – zusammen mit historischen Gratulanten und fast 200 Fahrgästen auf ihrem Extrazug!
Noch ist es dunkel in Winterthur. Doch im Lokdepot, da wo das Geburtstagskind „wohnt“, herrscht schon emsiges Treiben. Die letzten Vorbereitungen für den Extrazug werden getroffen. Die Loks müssen in Betrieb genommen werden, die letzten nötigen Dinge werden verladen. Es gibt immer noch viel zu tun!
Martin, dem Präsidenten des Vereins, gebührt die Ehre, den ersten Abschnitt mit der Be 4/6 fahren zu dürfen. Geschmückt mit Blumen fährt der Star des Tages (damit ist die Lok gemeint – sorry, Chef!) bereits um 7.19h los nach Zürich – alleine. Weil wir im grössten Bahnhof der Schweiz keine aufwendigen Rangierfahrten machen wollten, haben wir uns dafür entschieden, die Lok erst dort an den Geburtstagszug zu lassen.
Währenddessen wird im Depot Winterthur der Extrazug fertig formiert. Er besteht aus dem historischen Triebwagen BFe 4/4 1643 (auch bekannt als „Wyländerli“), den beiden alten Railvetica Stahlwagen B 8112 und AB 4126 (beheimatet in Rapperswil), dem CIWL Speisewagen 2749 (beheimatet bei der Dampfgruppe Zürich in Brugg AG), dem „eigenen“ SBB Historic Speisewagen Dr 10112 sowie den beiden ebenfalls im Wagenpark der Stiftung SBB-H befindlichen 1. Klasse Wagen 2251 und 229. Wahrlich ein stolzer Zug!
Bereits über 20 Minuten vor der geplanten Abfahrt finden sich die ersten Fahrgäste auf dem Perron Gleis 4 in Winterthur ein. Die Vorfreude auf diesen Tag ist bei ihnen wie auch bei allen Vereinsmitgliedern und Helfern deutlich spürbar. Wir begrüssen heute nicht nur Gäste aus dem Grossraum Zürich. Aus dem Bernbiet reisen Leute an, aus dem Bündnerland kommt eine ganze Delegation der Rhätischen Bahn, Ehrenlokführer der Deutschen Reichsbahn DR sind da und zwei Fahrgäste sind sogar extra aus England gekommen. Herzlich willkommen!
Pünktlich um 8.24h startet das „Wyländerli“ seine Fahrt. Während das Tageslicht fast nur Nebel zeigt, geniessen die Gäste bereits Kafi und Gipfeli an ihren Plätzen. Sogar die ersten Durstlöscher werden bereits serviert… Das erste Highlight der Fahrt kommt kurz vor der Ankunft in Zürich. Als unser Zug von Wipkingen her am ehemaligen Lokdepot vorbei fährt, steht da der Rehbock bereit und wird mit lautem Pfeifkonzert begrüsst – sehr zur Freude der Fahrgäste!
Im Gleis 11 im Zürcher Hauptbahnhof angekommen, begrüssen wir nochmals einige neue Fahrgäste, die meisten von ihnen sind von weiter her angereist. Auch sie können nun beobachten und geniessen, wie die Be 4/6 12320 stolz vom Depot her kommend an ihren Zug anfährt – bereit für die grosse Ausfahrt! Das blumengeschmückte Geburtstagskind stiehlt den modernen Zügen wie ICE oder FVD in den Gleisen links und rechts schlicht die Show. Richtige und Handykameras werden zuhauf auf den Rehbock gerichtet – und auf dem Perron wird derweil der Geburtstagskuchen präsentiert! Hier darf später jeder Fahrgast sein Stück abholen…
Nach dem längeren Aufenthalt geht die Geburtstagsfahrt nun endlich richtig los. Via Zürich Oerlikon geht es ins Furttal und somit auf den westlichen Abschnitt der ehemaligen Nationalbahn. Über Otelfingen und Würenlos erreichen wir Wettingen, dort biegen wir rechts ab auf den bei Eisenbahnern als „Grasweg“ bezeichneten Abschnitt nach Baden Oberstadt und Mellingen. Hier gibt es einen Stopp – einerseits aus fahrplantechnischen Gründen, andererseits muss auch die Be 4/6 kontrolliert und geschmiert werden. Viele Gäste benutzen den Aufenthalt, um weiteren Speicherplatz auf ihren kleinen und grossen Geräten zu füllen.
Während der Zug nun weiter auf den Spuren der Nationalbahn Richtung Lenzburg losfährt, hat das Personal in den beiden Speisewagen alle Hände voll zu tun. In den Küchen und beim Servierpersonal herrscht Hochbetrieb, denn mittlerweile sind die ersten Gäste zum Mittagessen eingetroffen. Nebst diversen Getränken gibt’s frisch zubereitetes Szegediner Gulasch. En Guete!
Derweil haben wir Lenzburg passiert und befinden uns nun auf dem letzten Abschnitt mit historischem „Touch“. Weg von der Hauptlinie reisen wir via Suhr und Kölliken nach Zofingen, an den westlichsten Punkt der damaligen Nationalbahn. Es sind Strecken, die heute enorm an Relevanz verloren haben. Der „Grasweg“ wird nur noch von wenigen Güterzügen befahren, zwischen Lenzburg und Zofingen verkehren immerhin noch regelmässig Regionalzüge. Doch die Intercitys, Interregios, Regioexpress und wie sie alle heissen, rasen heute durch das Limmattal und den Heitersberg in den Aargau und queren da die dortige Kantonshauptstadt auf dem Weg nach Olten…
Nun gut, wir sind in gemütlichen Tempo unterwegs! Nach einem kurzen Halt in Zofingen geht’s kurz vor halb eins wieder in die andere Richtung. Wir fahren nun auch etwas auf den Stammstrecken, zuerst nach Olten, dann weiter Richtung Aarau. Mit unserer eher bescheidenen Höchstgeschwindigkeit müssen wir natürlich ab und zu die schnelleren Kollegen vorbeilassen. Der Halt in Aarau wird dafür genutzt, die Speisewagen für die nächsten Essensgäste vorzubereiten.
In Turgi angekommen, gibt es den nächsten Richtungswechsel. Während Kaffee und Kuchen serviert werden und an der Bar im „Wyländerli“ auch Hochbetrieb herrscht, übernimmt das Geburtstagskind wieder die Regie für den letzten Teil der Fahrt. Wiederum nehmen wir eine Strecke unter die Räder, die fernab jeglicher Fernverkehrslinien liegt. Via Koblenz und Zurzach geht die Fahrt entlang dem Rhein durch das Studenland nach Eglisau und Bülach. In Koblenz begegnet uns ein weiterer Schienenstar: Der rote Pfeil von SBB Historic ist ebenfalls unterwegs und wird mit lautem Pfeifkonzert gegrüsst.
So langsam erreichen wir unser Tagesziel. Bereits beim Kreuzungshalt in Embrach werden Vorbereitungen getroffen zum Abhängen des Wyländerli. Denn bald kommt das grosse Finale… Kurz nach 16 Uhr fährt unser Zug in Winterthur Töss ein. Der Bahnhof steht in dem Stadtteil, in dem die Be 4/6 12320 vor 100 Jahren gebaut wurde! Während wir im Gleis 4 ankommen, spielt auf dem Platz die Stadtharmonie Winterthur-Töss auf, und in Gleis 3 und 1 stehen die Ae 4/7 10905 und der De 4/4 1679 als Gratulanten Spalier!
Da der Bahnhof Töss von der Zürcher S-Bahn Linie 41 im Halbstundentakt bedient wird, muss ein Gleis dafür frei bleiben. Doch als um 16.09h der Zug Richtung Bülach abgefahren ist, wird in der folgenden (kurzen!) Pause das „Wyländerli“ ebenfalls noch ins Gleis 2 gestellt – und somit können sich die Gäste an einer absolut einmaligen Fahrzeugparade erfreuen! Ein würdiger Abschluss einer unvergesslichen Geburtstagsfahrt!
Nachdem sich die Ae 4/7 10905 nun an den Zugschluss gesetzt und die S 41 nach Winterthur abgefahren ist, dürfen Vereinsmitglieder und Helfer noch vor dem Geburtstagskind für ein Foto posieren. Als alle Gäste wieder eingestiegen sind, folgt die kurze Fahrt in den Hauptbahnhof Winterthur. Dort verabschiedet sich einerseits die Be 4/6 in den wohlverdienten Feierabend und andererseits ist hier das Ende der Reise für einen grossen Teil der Fahrgäste erreicht. Die Ae 4/7 hat nun die Aufgabe übernommen, die am Morgen in Zürich zugestiegenen Reisenden auch wieder dahin hin zu bringen. Gleichzeitig darf die auch schon über 90-jährige Lok anschliessend die Wagen noch zurück nach Olten und Brugg bringen.
Ein unvergesslicher Tag, eine fantastische Reise, lauter zufriedene Gesichter. Wir vom Verein SBB Historic Team Winterthur bedanken uns sehr herzlich bei all unseren Gästen – wir hoffen, dass wir Sie bald wieder einmal begrüssen dürfen!
Ebenfalls ein Dankeschön an die Fotografen draussen an der Strecke, welche diese Fahrt finanziell und mit Bildern unterstützt haben! Und ein grosser Dank gebührt natürlich auch allen Helferinnen und Helfern, die – von der grossen Mehrheit kaum oder wenig bemerkt – ganz viel wertvolle Arbeit geleistet haben!
Für den Verein SBB Historic Team Winterthur
René Kaufmann, Aktuar